Männer weinen nicht

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  • #4151
    angunn
    Teilnehmer

    Hallo,
    ein neuer Shiatsu-Klient von mir kam mit der Absicht in meine Praxis „einmal die Woche abzuschalten und was für sich zu tun“. Nach 2 Shiatsubehandlungen und längeren Gesprächen hat sich ein Thema hervorgetan, dass ihm sehr wichtig ist: Er kann nicht weinen – also seinen Tränen keinen Lauf lassen. Er sagt, das käme daher, dass seine Eltern (!!)ihn und seine Brüder als Kind geschlagen hätten, wenn sie weinten.Wenn sie weinten, weil einer der Brüder geschlagen wurde, wurden sie noch mehr verprügelt, unter anderem auf das Gesicht, dass sie unter der Bettdecke versteckten.(Diese schrecklichen Erlebnisse erzählte er mir übrigens bei einer klassischen Rückenmassage.) Er sagte, er hätte sich daraufhin das Weinen für immer abgewöhnt. Nun sei es aber so, dass er es vermissen würde. Bisher hatten wir, wie oben erwähnt, 2 Behandlungen, wobei ich bei der 1. keine Haradiagnose machte aber bei der 2. Diese Behandlung war für uns beide sehr viel intensiver (zu diesem Zeitpunkt wusste ich aber noch nichts von den Misshandlungen). Er sagte, dass ich in seinem „Bauch rumgewühlt hätte, wäre irgendwie besonders gewesen und hätte ihn berührt“.
    Nun sind wir uns beide einig, dass wir an diesem Thema arbeiten wollen. Es ist schon sehr heikel für mich, aber auch äußerst interessant (wenn ich das so sagen darf). Habt ihr Tipps oder Erfahrungen für mich? Mein Klient ist auch schon vor Jahren in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, die er als Erfolgreich beschrieb. Ansonsten ist er ein sehr bodenständiger Handwerker (Glasreiniger)-vorher Betriebsrat! Er versteht sich selbst als Menschenberater.

    Vielen Dank und liebe Grüße

    Anja

    #4384
    Meike Kockrick
    Mitglied

    Liebe Anja,

    wie wäre es wenn ihr Weinen und Traurigkeit einladet, dass sie auftauchen können es aber nicht darum geht etwas zu forcieren? Aufgrund der Geschichte des Klienten würde ich eine Haltung von Gelassenheit und Offenheit vorschlagen,ohne den Druck von Erwartungen auf beiden Seiten.
    Wenn dann ein Berührt sein, so wie du es beschrieben hast auftaucht, dann könntest du ihn fragen, ob es in Ordnung ist berührt zu sein. Ev. kann es eine Weile brauchen, bis er sich darauf einlassen kann. Ein Weg der kleinen Schritte wäre wichtig.

    Ev. kann aus dem Berührt sein ein Gefühl der Traurigkeit entstehen. Und auch dann geht es nur darum, ob die Traurigkeit ein klein wenig da sein darf. Du kannst den Klienten einladen zu erforschen, ob es jetzt sicher ist traurig zu sein. Um die Vergangenheit abschließen zu können brauchen wir die bewusste Erfahrung, dass die Gegenwart anders ist. Der Schwerpunkt sollte darauf liegen, dass die Gegenwart sicher ist, dass er erkennen kann, dass von dir keine Bedrohung ausgeht, dass du mit seiner Traurigkeit gelassen bleibst, sie akzeptierst.

    Ev. kann irgendwann auch eine Träne fließen, so wie der Regen natürlicher Weise vom Himmel fällt. Auch dann wäre es gut kleine Schritte zu gehen und zu fragen, wie es ist wenn eine Träne fließen darf.

    Da der Klient bereits psychotherapeutische Erfahrung hat kann es sein, dass eure Arbeit auf einen guten Boden fällt und sich über die Körperarbeit die Gefühlsebene integriert.
    Aus der von dir beschriebenen Geschichte vermute ich, dass ev. noch viel Wut da ist und er seine biologische Abwehrreaktion nicht vervollständigen konnte.

    Biologische Abwehrreaktion ist ein Begriff dafür, dass wir uns natürlicher Weise verteidigen wollen, wenn wir angegriffen werden. Eine Abwehrreaktion könnte Kampf, Flucht oder Erstarrung sein. Der kleine Junge, der geschlagen wurde hätte sich sicherlich gerne gewehrt. Da er aber erkannt hat, dass dies für sein Überleben nicht förderlich gewesen wäre, hat er versucht die Situation auszuhalten und nach Möglichkeit nicht geweint. Die nicht erfolgte Reaktion der Verteidigung ist unter Umständen noch in seinen Körper gehalten in Form von Muskelspannung und unterdrückten Nervenimpulsen.

    Falls ihr an diesen Punkt kommen solltet könntest du ihm Somatic Experiencing empfehlen. Diese Kurzzeittherapie arbeitet mit der biologischen Vervollständigung von Abwehrreaktionen auf der Ebene des autonomen Nervensystems.

    Gut wäre es auch, wenn du ihn fragst was für ihn in der Psychotherapie hilfreich war. Welche positiven Eigenschaften oder Stärken hat er da entdeckt. Dadurch kann er noch mehr Sicherheit in sich selbst entdecken.

    Mit diesen Fragen und Informationen bekommst du ev. eine Orientierung für deine innere Haltung. Für die Shiatsubehandlungen kannst du dich fragen, auf welche Weise er die Traurigkeit in sich hält. In diesem Zusammenhang kann dir vielleicht eine Anspannung im Brustbeinbereich auffallen oder eine große Spannung im Nacken. Gibt es Berührungen im Gesicht, die ihm besonders gut tun? Das Hara hattest du bereits selber benannt.

    Welche Meridianenergien fallen dir bei der Berührungsdiagnose auf? Metallenergie wäre die direkteste Verbindung zum Thema Traurigkeit, Herzenergie schenkt uns die Fähigkeit überhaupt Emotionen zu erleben. Auch Perikard ( emotionale Sicherheit) und Dünndarm( Verarbeitung von Schock) könnten sich zeigen, aber auch die Holzenergie mit ihrer Fähigkeit Blockaden aufzubauen und unseren Umgang mit Wut zu spiegeln. Die Wasserenergie könnte sich im Zusammenhang mit ev. existentiellen Ängsten zeigen. Hier hast du geschrieben, dass eine Rückenbehandlung das Thema an die Oberfläche brachte. Ich würde den Klienten nicht nach seinen Ängsten fragen, aber du kannst dir die Frage stellen, wie er mit Ängsten wohl umgeht und dein Eindruck bei der Behandlung der Wasserenergie kann dir Antworten geben.

    Liebe Grüße.
    Meike

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