Körperproportion und -tonus

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  • #15892
    PuraVida
    Teilnehmer

    Liebe KollegInnen,</p>
    <p>ich bin in Ausbildung zum Shiatsupraktiker und habe eine Frage zur Arbeit mit Menschen, die vom Körperbau her sehr gross und vom Tonus her „fest“ sind, also zB durchtrainierte Männer oder Personen, die eine starke Körperspannung aufweisen.</p>
    <p>Ich selbst bin ein Mann, 175 gross und eher „leicht“ gebaut. Ich komme mit Menschen, die meiner Statur entsprechen, oft gut beim Shiatsu in Kontakt – habe dann ein „gutes Gefühl“ bei der Arbeit. Bei den angesprochenen Körperbauweisen allerdings habe ich oft den Eindruck, ich müsse besonders stark und fest lehnen, was sehr schnell in Anstrengung ausartet und im Nachhinein eher frustrierend wirkt.</p>
    <p>Und ich hätte noch ein Thema in diesem Zusammenhang: wenn ein Klient kommt und bereits Erfahrung mit „physischem“ Shiatsu hat, also mit einem eher schmerzhaften Shiatsustil, dann falle ich schnell in ein Schema der Erwartungshaltung und versuche ebenfalls kräftiger zu arbeiten – was mir jedoch nicht so entspricht und wie gesagt schnell anstrengend wird…</p>
    <p>Könnt ihr nachvollziehen, was ich meine, und wie geht ihr mit solchen Situationen um?</p>
    <p>Vielen Dank für etwaige Antworten!

    • Dieses Thema wurde geändert vor 6 Jahren, 1 Monat von PuraVida.
    #15894

    Lieber PuraVida,

    Ich kann sehr gut verstehen, dass du bei angespannten Männern mit harten Muskeln und festem Bindegewebe selber in Anspannung gehst und dem Impuls kaum widerstehen kannst, dich anzustrengen, um „mit diesem Typen fertig zu werden“. Solch eine Reaktion ist völlig normal. Wir werden durch Anspannung quasi infiziert und spannen uns dann selber an.

    In die andere Richtung geschieht etwas ganz ähnliches: wenn nämlich Klienten sehr entspannen, fällt es uns leicht, selber zu entspannen, die Shiatsu-Arbeit wird leichter, und wir gehen sehr viel leichter in Resonanz. Das gleiche Resonanz-Phänomen findet bei angespannten Klienten statt, deren Körper hart ist. Hier fällt es uns schwer, loszulassen und einfach nur da zu sein.

    Darum ist es eine der wichtigsten Trainingsziele für jemanden, der Shiatsu lernt, sofort loszulassen und weit zu werden, so bald wir auf Jitsu, Widerstand oder große Anspannung treffen. Es handelt sich um ein Training, den Reflex, der automatisch einsetzt, umzupolen. Das kann man lernen, dafür es braucht große Entschlossenheit. Ich selber habe das in meinen Shiatsu-Anfangsjahren einmal sehr eindrucksvoll erlebt, als ich eine Behandlung an einem sehr großen, übergewichtigen und völlig verspannten Menschen schon abbrechen wollte. In dem Moment, als ich quasi aufgab und keinen Ergeiz mehr hatte, diesem Menschen eine gute Behandlung zu geben, weil es eben nich ging, entspannte dieser Koloss und die Behandlung wurde ein Vergnügen.

    Eine gute Hilfe dabei, dies zu lernen, kann das Training der Inneren Techniken sein. Durch das Training der Inneren Techniken lernt man in seinen Shiatsu-Behandlungen den Zustand von innerer Weite kennen und kann ihn schließlich in sich aktivieren, wenn es erforderlich ist. Alle Inneren Techniken sind hierbei hilfreich, besonders aber die der Aufrichtung und Ausdehnung. Dann lernt man, dass für einen guten und tief reichenden Kontakt physische Anspannung und Enge auf Seiten des Behandlers ein entscheidendes Hindernis sein kann. Auch großer Druck im Tiefenkontakt (z.B. durch hinein Lehnen mit viel Gewicht) ist für einen tief wirkenden Kontakt eher kontraproduktiv. Viel wichtiger ist es, den Raum zwischen sich und dem Klienten sich ein wenig ausdehnen und ihn leicht werden zu lassen. Das geschieht eben nicht durch Lehnen mit Gewicht, sondern durch Aufrichten, Ausdehnen (z.B. der Arme und der Hand), und dadurch die Distanz zum Klienten leicht zu erhöhen.

    Es lohnt sich, das mal genauer anzuschauen. ein Skript zu den Inneren Techniken und ein weiteres zur Inneren Technik der Aufrichtung und Ausdehnung findest du unter diesem Link: http://www.schule-fuer-shiatsu.de/shiatsu/veroeffentlichungen/deutsche-artikel.html

    Was deine Reaktion bei Klienten angeht, die mit der Erwartungshaltung kommen, ein eher physisches und festes Shiatsu zu erhalten angeht, so verstehe ich auch das sehr gut. Deine Aufgabe ist es dann, dich zu entscheiden, wie du arbeiten willst. Es spricht nichts dagegen, Shiatsu sehr physisch zu geben. Das ist nicht verboten und gelegentlich sogar sehr hilfreich und genau das Richtige.

    Willst du aber so nicht arbeiten, dann wende dein Shiatsu so an, wie du es für richtig hältst und wie es dir entspricht. Meistens wird der Klient, der solch ein „offenes“ Shiatsu noch nicht kennen gelernt hat, sehr zufrieden mit deinem Shiatsu sein. Möglicherweise hat er insgeheim nach einem solchen Shiatsu gesucht und jetzt endlich gefunden. Sollte das mal nicht so sein, und dein Shiatsu den Erwartungen deines Klienten nicht entsprechen, dann steh zu deinem Shiatsu und überlass es dem Klienten, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Aber wie gesagt, meistens werden sie weiter zu dir kommen, weil es sie überzeugt.

    Berichte hier gerne weiter über deine Erfarungen mit solchen Klienten. Das ist sicherlich für alle PraktikerInnen von großem Interesse.

    Also: wenn du auf Anspannung stößt – sofort loslassen und weit werden, Arme und Daumen sich ausdehnen lassen:-))

    herzliche Grüße,

    Wilfried

    #15995
    PuraVida
    Teilnehmer

    Lieber Wilfried,

    Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort.

    So ähnlich wie du das mit der Ausdehnung und Weite beschreibst, wird es uns auch in der Schule vermittelt (ich lerne am ESI in Wien). Vor allem unsere liebe Lehrerin Christine Reder weist uns in Kursen immer wieder auf ein genüßliches Ausdehnen beim Lehnen hin, um diese Qualitäten zu kultivieren.

    Vielen Dank für die Erinnerung und Info, dass die eigene Anspannung bei angespannten Klienten ein natürlicher Reflex ist. Danke auch für dein Beispiel mit dem „Koloss“, das kann ich gut nachvollziehen. Loslassen, wenn der Wiederstand am stärksten ist, das hilft nicht nur im Shiatsu 😉

    Das, was du in dem Artikel zur Inneren Technik der Ausrichtung und Ausdehnung beschreibst, erinnert mich auch stark an die Arbeit mit den Meridianfunktionen für Lunge & Dickdarm…

    Was im ersten Post noch nicht angesprochen habe, ist, dass ich in letzter Zeit damit experimentiert habe, zuerst in Bauchlage und eher „physisch“ zu arbeiten. Irgendwie nimmt mir das den Druck der Erwartungshaltung bei jenen Klienten. Allerdings ist das Shiatsu dann zu Beginn auch mehr „nach Schema“ (Rückendehnungen, Yu-Punkte, Blasenmeridian,…), was mir eigentlich nicht so gefällt, aber vielleicht passt es ja in diesen Situationen…

    Ich werde jedenfalls mit deinen Tipps experimentieren und mich dem Thema der Inneren Techniken widmen, das klingt wunderbar und bereichernd.

    Zum Abschluss noch der Satz, der mir in deinem Artikel am meisten gefällt:
    „Distanz ist sehr hilfreich in unserer Arbeit, denn Tiefenkontakt verlang Distanz, damit energetische Bewegungen leichter entstehen können.“

    …Traumhaft…

    Ich werde weiter berichten, was sich so tut in nächster Zeit.

    Liebe Grüße,

    Dominik

    #16015

    Lieber PuraVida,

    Es ist eine sehr gute und wertvolle Vorgehensweise, erst in Bauchlage relative physisch zu arbeiten, und danach in feinere Arbeit einzusteigen (in Bauchlage oder in einer anderen Position). Es ist sicherlich nicht der einzig Richtige Weg, aber er bietet viele gute Möglichkeiten.

    Beispielsweise kann so ein Raum bereit gestellt werden, in dem Klient und Behandler sich erst einmal kennen lernen (ich nenn das gerne „die Ouvertüre“ einer Behandlung). Zudem führt physische Arbeit amRücken oftmals dazu, dass der Klient einen Teil seiner inneren Spannung loslassen kann, was in der folgenden feineren Arbeit von großem Vorteil sein kann. Neben zahlreichen anderen Vorteilen spielt noch einer eine besondere Rolle: in der physischen Arbeit am Rücken kannst du genau sehen und spüren, wie dieser Mensch in seinen drei Brennkammern zuhause ist – Kyo, Jitsu, Spannung, Emotionen, Abwehr, Willkommemn Sein und mehr erzählen dir so viel über diesen Menschen. Diese Info kann in der/n weiteren Behandlung/en eine große Bedeutung erhalten. Dann wird deine Arbeit keineswegs 08/15-mäßig nach Schema sein, sondern du kannst schon so früh in der Behandlung sehr differenziert auf diesen Menschen, seine Situation und Bedürfnisse eingehen.

    Ich bin gespannt auf deinen weiteren Bericht.

    herzlichr Grüße, Wilfried

    #16051
    PuraVida
    Teilnehmer

    Lieber Wilfried,

    Vielen Dank nochmals für die Rückmeldung, dann erfde ich weiter experimentieren…

    Schönes Wochenende!

    Dominik

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