Arbeit mit Flüchtlingen

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  • #10467
    sfrommann
    Teilnehmer

    Hat jemand Erfahrungen in der Shiatsu-Arbeit mit Flüchtlingen? Wir veranstalten hier im Wohnheim regelmäßig ein Frauencafé. Wenn ich dabeisein kann, bringe ich meinen Massagestuhl mit und biete Rückenbehandlungen an, die auch dankbar angenommen werden. Aber ich wage es noch nicht, ganze Behandlungen zu geben, da ich aufgrund der Sprachschwierigkeiten weder ein richtiges Anfangsgespräch führen kann, noch eventuelle Reaktionen in der Behandlung verbal auffangen könnte. Ich habe aber den Eindruck, dass einige Frauen sehr von Shiatsu profitieren könnten. Gibt es jemanden in einer ähnlichen Situation? Was ratet ihr mir?

    Viele Grüße
    Sabine Frommann

    #10500
    Helga Krimphove
    Teilnehmer

    Liebe Sabine Frommann,

    ich bin froh zu hören über deine Arbeit – deinen Einsatz für die Flüchtlinge.
    Deine Erfahrung kann ich bestätigen, dass Shiatsu für diese Menschen, die eine schwere Zeit haben und hatten, sehr wohltuend ist. Deinen Einstieg mit dem Behandlungsstuhl finde ich ausgesprochen sinnvoll.
    Hier in Deutschland habe ich solche Arbeit nicht selber gemacht, habe aber Erfahrung mit Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten. Dort war die Situation wie hier für dich, nämlich dass ich mich sprachlich nicht verständigen konnte.
    Diese Zeit mit Shiatsu möchte ich nicht missen, das ist eine wichtige Erfahrung für mich mit Shiatsu. Es hat mich – so empfinde ich es – zur Basis des Shiatsu geführt, der nonverbalen Kommunikation, der Absichtslosigkeit, dem Vertrauen. Ich bin auch immer wieder an Fragen gestoßen: Fragen nach meiner Intention, nach meinen Kräfte, meinem Wirken.

    Zum Glück hatte ich die Möglichkeit, die Arbeit mit Shiatsu vorzustellen., mit Erklärungen und Demonstrationen: dass die Behandlung am bekleidetem Körper stattfindet; dass Ziel ist, die Entspannung des Menschen zu fördern; wie der Körper berührt wird; dass der Körper bewegt wird, ohne das dabei geholfen wird; und auch, dass die Behandlung jederzeit unterbrochen werden kann, bzw., das die behandelte Person sagen mag, falls irgendetwas unangenehm sein sollte. Dafür ist natürlich eine Übersetzung nötig…..

    Das „nicht reden können“ ermöglicht gegebenenfalls eine andere, erweiterte Öffnung von dir dem anderen Menschen gegenüber. Und du kannst dich auf deine innere Haltung konzentrieren, und darauf, diese im Außen wahrnehmbar zu machen.
    In meiner Arbeitssituation habe ich es durchaus als Erleichterung empfunden nichts zu wissen über die Person, die da auf meiner Behandlungsmatte liegt; nichts über die Nationalität, die ethnische Zugehörigkeit, die Religion…

    Vom Beginn meiner Arbeit mit Shiatsu habe ich Vertrauen gelernt. Das Vertrauen darin, dass in der Shiatsu-Behandlung bei meinen Klient_innen keine „Überforderung“ stattfindet. Dass Erinnerungen und Gefühle, die mit Traumata zusammenhängen, nur zu verkraftenden Zeitpunkten an die Oberfläche und ins Bewusstsein kommen. Wie Blasen in einem undurchdringlichen See, die manchmal ein bisschen hochblubbern, evtl. wieder völlig verschwinden, um vielleicht später einmal tatsächlich an die Oberfläche zu kommen; um sich dort aufzulösen. Diese Zustände können, wie wir wissen, durchaus mit deutlichen Gefühlsausdrücken unserer Klient_innen einhergehen. Und ich hoffe, durch unsere Ausbildung und unsere Erfahrungen sind wir in der Lage, professionell und empathisch damit umzugehen – auch ohne Worte.

    In diese Behandlungen habe ich manchmal auch Geräusche mit einfließen lassen, wenn dies für mich gut erschien. Nicht nur Atemgeräusche, um ein tiefes und entspanntes Atmen zu unterstützen, sondern auch andere Geräusche, wie brummen, rauschen oder tönen, um meine Klientinnen dabei zu unterstützen, sich zu entspannen und sich selbst zu spüren. Vielleicht ist das auch eine Möglichkeit für dich?

    Noch etwas fällt mir ein zum Thema Intention:
    Sicherlich habe ich mich immer wieder dabei „ertappt“ und so passiert es heute auch noch mal, dass ich gerne helfen möchte, dass ich wünsche, die Menschen die zu mir kommen, mögen frei werden von ihren Schmerzen und Behinderungen. Inzwischen kann ich schmunzeln über solche Wünsche, kenne ich doch auch den in mir schlummernden, dass ich selbst „befreit sein möge“.
    Ich kenne allerdings auch einen besonderen Zustand in den eine Shiatsu-Behandlung mich bringen kann, einen Zustand des Gefühls der absoluten Übereinstimmung und der Verbundenheit mit dem Leben. Dies fühlen zu können gönne ich jedem Menschen.

    So, das waren eine ganze Menge Worte. Ich habe sie geschrieben um dir Mut zu machen für deine Arbeit mit den Flüchtlingsfrauen, und ich hoffe, dass ich erfolgreich dabei bin. Wenn du mehr hören willst, kannst du mich auch gerne anrufen, über Wilfried Rappenecker oder den Kientalerhof bekommst du meine Telefonnummer.

    Vielleicht gibt es bei dir in der Region noch Shiatsu-Kolleg_innen, die sich an deiner Arbeit beteiligen würden. Das wäre vielleicht eine Idee, das Projekt in der Regionalgruppe vorzustellen?! Oder auch überregional, damit in anderen Gebieten auch Flüchtlinge von Shiatsu profitieren können.
    Wie gut das du deine Anfrage geschrieben hast, so können auch Kolleg_innen darauf reagieren, die im gleichen Bereich aktiv sind.
    Ich wünsche dir alles Gute für diese deine Arbeit, dass du alle Hilfe und Unterstützung die du brauchst, bekommen magst!

    Ganz herzliche Grüße, Helga Krimphove (Kiel, Deutschland)

    #10502
    sfrommann
    Teilnehmer

    Liebe Helga!
    Vielen Dank für deine tatsächlich sehr ermutigende Antwort! Ja, auch ich finde, dass es nicht nur schlecht ist, dass ich mich mit den Frauen nicht auf gewohnte Weise unterhalten kann. (Auch wenn ein Gespräch die Shiatsu-Arbeit natürlich sehr gut unterstützen kann…) Auch ohne die schlimmen Dinge, die sie vermutlich erlebt haben, erzählt zu bekommen, ist es gar nicht so einfach, sich nicht von helfen-wollen und Mitleid überwältigen zu lassen.
    Aber es macht wirklich Spaß, das Starke in diesen Rücken zu berühren! Diese Frauen sind wie hinter einer Milchglasscheibe, und das liegt nicht nur am Sprachproblem. Beim Shiatsu kann ich manchmal hindurchschauen und das ist toll!
    Ich hab übrigens schon mehrfach mit großem Interesse von „Ferien vom Krieg“ gelesen! Gibt es das noch, mit Shiatsubegleitung?Vielleicht kann ich ja auch einmal dabeisein.
    Was meine Regiogruppe angeht: der werde ich auf jeden Fall empfehlen, bei wichtigen Fragen dieses Forum zu nutzen, wo man so schnell kompetente Antworten bekommt. Nochmal danke dafür!

    Mit herzlichen Grüßen
    Sabine Frommann

    #10503
    Helga Krimphove
    Teilnehmer

    Liebe Sabine!

    Wie schön, dass meine Antwort dich unterstützen konnte. Und noch schöner, das du noch von einem Aspekt schreibst, der solche Arbeit für uns Shiatsu-Praktiker_innen so wertvoll macht!

    Ja, das Projekt „Ferien vom Krieg“ gibt es noch immer. Allerdings hat sich die Situation insoweit geändert, dass sich im Balkan die Organisation und Durchführung der „Ferienfreizeiten“ fast ausschließlich in Händen der Menschen vor Ort befindet – was ja auch ein Ziel des Projektes ist. Dort gibt es jetzt nur noch selten Shiatsu-Begleitung.

    Bei den Begegnungen junger Menschen aus Israel und Palästina in Deutschland gab es von Anfang an nicht bei jeder Gruppe Shiatsu-Behandlungen. Und die, die eine Begleitug wünschen, haben zum Teil schon einen festen Mitarbeiter_innen-Stamm.
    Manchmal fällt allerdings auch jemand aus, und wenn du Interesse hast, nehme ich dich gerne in den Verteiler auf. Schick mir dafür bitte deine Mailadresse.

    Liebe Grüße, und weiterhin alles Gute für deine Arbeit! Helga Krimphove

    #10504
    sfrommann
    Teilnehmer

    Hallo Helga,
    meine Mailadresse ist: sfrommann@yahoo.de

    Liebe Grüße
    Sabine

    #12768
    sfrommann
    Teilnehmer

    Liebe Helga,
    so ging es weiter mit meiner Arbeit mit den Flüchtlingsfrauen. (Ich sende einen Bericht, der so auch im letzten Shiatsu-Journal der GSD erschienen ist.)
    Als sich hier vor ca. 1 ½ Jahren der Freundeskreis für Flüchtlinge gegründet hat, war ich dabei. Ich hatte gleich die Vorstellung, Shiatsu für Flüchtlinge anzubieten, wusste aber nicht so recht, wie ich das anfangen sollte. Der Leiter der Gemeinschaftsunterkunft (damals sollte eine entstehen, inzwischen sind es drei) konnte mit meinem Angebot nichts anfangen, ebensowenig die Sozialarbeiterin. Sie waren und sind viel zu beschäftigt damit, den Alltag der Flüchtlinge einigermaßen zu organisieren.
    Ich habe dann angefangen, mit zwei, drei anderen das Frauencafé am Vogelberg anzubieten, wo sich die Frauen, die in der Unterkunft leben, treffen können. Wir hatten die Vorstellung, dass die Frauen sich untereinander austauschen könnten, sich gegenseitig Tips geben usw.. wie Frauen das eben untereinander so tun. Allerdings hatten wir nicht bedacht, dass es Frauen aus Albanien, Syrien, Pakistan, Afghanistan, Nigeria, Indien, dem Irak… schwer fällt, sich untereinder auszutauschen, da sie keine gemeinsame Sprache haben.
    Wir haben also Dinge veranstaltet, bei denen man nicht sprechen muss, z. B. Plätzchen backen, basteln, Tanznachmittage (sehr lustig!) etc.. Aber immer öfter hat eine von uns rudimentären Deutschunterricht gegeben.
    Nebenbei habe ich meinen Massagestuhl aufgebaut und kleine Rückenbehandlungen gegeben. Die Frauen waren gleich neugierig und ich hatte immer ganz gut zu tun. Meistens turnten auch die Kinder auf dem Stuhl rum und guckten neugierig nach, wir man den aufbaut, abbaut, verstellt..etc. Auch die Männer waren neugierig. Viele von ihnen warten vor unserem Raum, da die Sozialarbeiterin am gleichen Nachmittag nebenan Sprechstunde hat. Und sie protestieren oft und fragen mich, warum ich denn nur Massagen für die Frauen mache. Einmal habe ich dort meinen Stuhl aufgebaut und ein paar Männer behandelt, damit die wissen, was ich mit „ihren“ Frauen mache. Aber grundsätzlich gebe ich hier nur den Frauen Shiatsu. Ich kann leider nicht alle behandeln, und die Frauen haben es ja besonders schwer.
    Einmal haben wir einen „Wellness“-Nachmittag veranstaltet. Wir haben pflegende Hautmasken besorgt, Handcremes etc und die Frauen haben sich gegenseitig gecremt und frisiert. Da habe ich zum ersten Mal in einer ruhigen Ecke eine Matte aufgebaut. Seitdem wechsle ich immer ab, je nachdem wie ich mich fühle. Und manchmal verabrede ich mich inzwischen mit bestimmten Frauen für eine Einzelbehandlung auf der Matte.
    Durch diesen Rahmen konnten und können die Frauen mich kennenlernen und jede kann sich anschauen, was ich da tue. Sie können sich frei entscheiden, ob sie von mir behandelt werden möchten oder nicht. Das ist mir besonders wichtig, da ich ja kaum ein Eingangsgespräch mit ihnen führen kann. Manche denken zuerst, ich bin eine Ärztin. Alle haben das Gefühl, sie müssen etwas haben, um sich behandeln lassen zu dürfen. Die meisten haben tatsächlich starke Verspannungen und/oder Schmerzen.
    Die Behandlungen auf dem Stuhl sind schön. Ich freue mich immer, diese Rücken berühren zu dürfen. Da ist ganz viel Stärke drin. Aber ich mag die Behandlungen auf der Matte besonders gern. Ich decke die Frauen meistens zu (außer im Sommer, wenns zu heiß ist), und es entsteht der spezielle Shiatsu-Raum. Dort können die Frauen sich wirklich mal in sich zurückziehen und ganz still werden – Momente der Ruhe und Entspannung, die in ihrer augenblicklichen Lebenssituation kostbar sind. Die Kinder, die gern auf ihren Müttern rumturnen, habe ich manchmal miteinbezogen. Sie werden inzwischen meistens von den anderen übernommen oder wegorganisiert.
    Vor drei Wochen kam eine Inderin, sie ist hochschwanger und wird vorausichtlich in zwei Wochen ihr Kind zur Welt bringen. Sie schlotterte am ganzen Leib vor Kälte und als sie zu mir auf die Matte kam, habe ich sie mit der allerwärmsten Decke zugedeckt und sie mit ganz viel Wärme behandelt. Nachher war sie ganz vergnügt und hat mit den anderen Frauen rumgeschäkert. Meine Mitstreiterin fragte mich hinterher: „Was hast du denn mit der gemacht? Die habe ich ja noch nie so erlebt. Die hast du ja richtig aufgetaut.“
    Am nächsten Morgen bin ich nochmal zu ihr gefahren und habe ihr warme Socken gebracht. Da hat sie mir erzählt, dass sie seit Monaten nicht mehr so gut geschlafen habe wie in der vergangenen Nacht. Eines der vielen kleinen Shiatsu-Wunder war geschehen…
    Ich habe auch mal zwei größere Kinder behandelt. Die waren sehr neugierig und frech. Sie wollten partout die Matte nicht räumen. Da hab ich sie gefragt: Na, wollt ihr auch mal? Sie wollten und als ich mich an sie angelehnt und sie ein bisschen langgezogen habe, wurden sie ganz still. Als ich sie gefragt habe, ob das schön ist, haben sie beide sehr heftig genickt.
    Ich weiß nicht, wohin es diese Frauen und Kinder verschlagen wird. Einige müssen sicher zurück in die Heimat, in der sich nicht mehr sein wollen, andere werden vermutlich in anderen Städten und Regionen von Deutschland landen, nur wenige werden hierbleiben.
    Ich kann die Welt nicht retten und die große Politik nicht beeinflussen, ich kann die Narben auf den Armen, im Gesicht und in den Seelen nicht wegmachen, aber ich kann diesen Menschen für einen kleinen Moment die Gelegenheit geben, bei sich selbst zu Hause zu sein.
    Am Anfang habe ich das gemacht, weil ich helfen wollte. Inzwischen mache ich das, weil es mir sehr viel Freude macht. Es ist einfach schön, nicht mehr nur diese ewig strömenden Menschenmassen in den Nachrichten zu sehen und die ganzen Probleme, die damit zusammenhängen, sondern einen warmen Menschen mit meinen Händen zu spüren.

    Viele Grüße
    Sabine

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