Starke Beschwerden nach einer Behandlung

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    Ivo Marcon
    Teilnehmer

    Ich erlebte vor kurzem ein Ereignis, welches mich etwas verunsichert hat.

    Eine Klientin um die 40 meldete sich bei mir schriftlich per Mail, dass sie nach einer Behandlung von mir Beschwerden entwickelte.

    In der Behandlung mit dieser Frau gab es eine Sequenz, in welcher ich an ihrem rechten Nacken seitlich entlang des Sternocleidomastoideus arbeite. Ich traf dort auf eine recht deutliche Spannung und berührte diese mit meinem Daumen. Ich fragte sie wie der Druck für sie sei und ob sie mehr davon nehmen würde. Sie bejahte dies und ich erhöhte den Druck langsam und sagte ihr, sie solle mir sagen, wann für sie die Grenze erreicht sei. Nach einer Weile hatte ich das Gefühl, der Druck sei nun schon ziemlich stark, aber da sie nichts sagte, erhöhte ich ihn noch etwas. Dabei achtete ich darauf, dass ich innerlich so offen und entspannt blieb, wie es mir möglich war. Nicht lange darauf sagte sie dann, dass nun die Grenze erreicht sei. Ich nahm darauf meinen Druck etwas zurück, blieb noch kurz und fuhr dann mit der Behandlung am Rest der des Körpers weiter. Auf diese Weise habe ich schon oft gearbeitet. Ich habe dabei die Absicht mit der Holzenergie der Klientin in Kontakt zu kommen und bin oft überrascht wie unterschiedlich das Druckempfinden sowie der Spannungstonus der Klienten ist.
    Nach der Behandlung hatte ich das Gefühl, die Klientin sei zufrieden und sie verlies meine Praxis mit einem weiteren Termin.

    Einen Tag später las ich am Morgen eine Mail von ihr welche sie am späten Abend zuvor geschickt hatte. Sie sagte darin, dass sie am Nacken Schmerzen hatte, welche stärker wurden. Sie hatte Mühe beim Kauen und ein Kribbeln im rechten Arm und dem Kleinen-, dem Ring-, sowie dem Mittelfinger. Sie fragte mich, was sie tun könne, damit es besser wurde.
    Ich erschrak ab dieser Mail und dachte mir, dass der Druck am Nacken wahrscheinlich zu stark war. Sofort rief ich sie an und fragte etwas genauer nach. Auch bot ich ihr an, gleich nochmal in die Praxis zu kommen. Auch kostenfrei.
    Dies wollte sie nicht. Sie habe gerade nicht so gut Zeit. Ich dachte in dem Moment, dass sich vielleicht ein Muskel etwas entzündet oder überreizt hatte und dass sich dies wohl im Laufe des Tages legen würde. Dies teilte ich ihr mit und wir verblieben, dass sie sich später nochmal melden würde.
    Am späteren Nachmittag telefonierten wir nochmal und sie sagte, es sei eher schlimmer. Sie sagte, sie überlege sich, sich bei ihrer Hausärztin zu melden. Ich unterstützte sie darin.
    Ihre Hausärztin war gerade voll, aber sie erhielt einen Termin für den nächsten Tag in einer Praxis in der Stadt. Dort schickte sie der Arzt sofort in ein MRI. Darauf war dann zu sehen, dass sie eine Vorwölbung der Bandscheiben zwischen C4 und C6 hatte. Ebenfalls sagte meinte der Arzt, dass ein kleiner Riss zwischen C5 und C6 erkennbar sei. Die Klientin sagte, dies sei genau die Stelle, an welcher der Druck stattfand.
    Zusätzlich sagte der Arzt, dass sie in ihrer Wirbelsäule Osteporose habe.
    Bereits im Erstgespräch mit mir, erzählte mir die Frau, dass sie mit 22 Aufgrund eines Östrogenmangels mit Osteporose diagnostiziert wurde. Die Frau wirkte jedoch ziemlich vital und ich habe in der Behandlung mit ihr ehrlich gesagt kaum oder gar nicht daran gedacht.

    Mittlerweile habe ich den Fall meiner Berufshaftpflichtversicherung gemeldet und diese prüft nun das Ganze. Die Klientin ist ziemlich wütend und macht mir Vorwürfe. Ihre Beschwerden sind auch nach mehr als einer Woche nicht zurück gegangen.

    Ich habe ihr mehrmals angeboten, nochmal in die Praxis zu kommen. Auch habe ich ihr zwei von mir sehr geschätzte Ärzte empfohlen. Sie war aber der Meinung, dass für den Moment genug manipuliert worden sei und das sie lieber mit Hilfe eines Physiotherapeuten Übungen zur Linderung machen wollte.

    Der Vorfall ist jetzt fast vier Wochen her und bei mir nicht mehr gleich präsent. Ich habe ihn so gut beschrieben wie ich konnte, aber es ist gut möglich, dass ich das eine oder andere Detail vergessen habe.

    Ich lerne daraus, folgendes:
    – Es ist nicht so gut zu warten, was meine Klientin sagen, wenn ich bereits vorher das Gefühl habe, dass der Druck etwas zu strak ist.
    – Wenn ich sage, sie solle mir ihre Grenze mitteilen, muss ich wohl klarer kommunizieren. Die Frau hat wahrscheinlich verstanden, sie solle mir sagen, wann sie den Druck nicht mehr aushält. Für mich ist die Grenze dort, wo ich nicht mehr loslassen kann.
    – Es wäre wohl gut gewesen, die Frau gleich am ersten Morgen deutlicher dazu einzuladen in die Praxis zu kommen.
    – Wenn eine Klientin sagt, dass sie Osteoporose hat, sollte mir das in meiner Behandlung präsenter sein. Egal wie vital und jung die Klientin ist.
    – Es kann sein, dass Schwierigkeiten auftauchen und auch, dass ich etwas tue was für meine Klienten eher hinderlich ist. Ich kann dann versuche, das Problem welches entsteht zu beheben aber ich kann nicht oder kaum beeinflussen, wie meine Klienten mit der Situation umgehen.

    Mittlerweile geht es wieder besser aber der Vorfall hat mich ziemlich aufgewühlt. Ich schreibe ihn unter anderem in dieses Forum, weil ich denke, dass mir eine Lehrerin, ein Lehrer, oder auch sonst jemand mit viel Erfahrung noch etwas hilfreiches dazu sagen könnte. Es würde mich freuen, wenn sich jemand die Zeit dafür nehmen würde.

    #19814

    Lieber Ivo,

    ich weiß natürlich nicht, was du dort wirklich gemacht hast. Aber da du Shiatsu bei uns in Kiental gelernt hast und weil ich dich kenne, kann ich mir nicht vorstellen, dass du brutal fest gedrückt hast. Und selbst wenn, einen Bandscheibenprolaps oder gar einen Riss im Gewebe kannst du auf diese Weise nicht erzeugen, auch nicht, sollte tatsächlich an der HWS Zeichen einer Osteoporose bestehen.

    Es wäre allerdings möglich, dass deine feste Berührung einen Schutzreflex in Form einer Verspannung ausgelöst hat, die dann zu Beschwerden führte. Noch wahrscheinlicher: dein Druck hat eine Art von Schutzspannung um das Problem im Nacken herum gelöst, so dass deine Klientin das Problem deutlicher spüren konnte als vorher. Ich selber gehe nach deiner Schilderung erst mal davon aus, dass die Bandscheibenvorwölbung schon vor dieser Behandlung bestanden hat, und dass die dem zugrunde liegende langfristige Fehlbelastung der HWS sich erst jetzt in Form von Beschwerden äußert.

    Wenn du den Regeln des Shiatsu folgst, nichts erzwingen und nicht mit dem Kopf durch die Wand willst, dann kannst du kaum Schäden verursachen. Welche Stärke und Art von Druck wo richtig ist, kann aber nicht deine Klientin, sondern nur du selber aus der Betrachtung der Gesamtsituation heraus entscheiden. Das ist wichtig. Allenfalls können wir unsere Klienten fragen, ob wir so berühren dürfen, wie wir es im gegebenen Augenblick für richtig halten.

    Dies alles vorausgeschickt, kannst du davon ausgehen, dass wenn Klienten sich über Beschwerden nach einer Behandlung beklagen, dies entweder eine vorübergehende (und positiv zu bewertende) Erstverschlimmerung darstellt, die meist nach 1 oder 2 Tagen nachlässt. Oder sie haben gar nichts mit der Behandlung zu tun – es geschehen doch so viele Dinge im Leben eines Menschen, die immer auch eine Vorgeschichte haben, die nicht durch unsere Behandlung bedingt sind.

    Darum: wenn du wieder in solch eine Situation kommen solltest, dann ist in aller Regel die Frage weiterführender, warum der Klient jetzt nach der Behandlung diese Beschwerden entwickelt. Welche innere Dynamik lässt das geschehen? Durch eine solche Frage kannst du über die aktuellen Beschwerden hinaus auch die Gesamtsituation des Menschen besser verstehen.

    Du bist anders vorgegangen. Du scheinst den Eindruck gehabt zu haben, dass du etwas falsch gemacht haben musst, wenn solche Beschwerden entstehen, und bist möglicherweise deinem eigenen lauernden Schuldgefühl (vielleicht gepaart mit Unsicherheit wegen noch nicht so großer Praxis-Erfahrung) erlegen. Wegen deines eigenen Schuldgefühls hast du der Klientin ein Schuldeingeständnis angeboten und darüber hinaus, sie kostenfrei in deiner Praxis zu behandeln. Beides ist etwas, das wir in jedem Fall vermeiden sollten, selbst dann, wenn wir etwas falsch gemacht haben sollten.

    Richtig wäre es gewesen, sich zu erkundigen, was genau sich da verschlechtert hat, und wie deine Klientin sich das aus ihrer eigenen Geschichte heraus erklären kann. Wenn sie dir dann Vorwürfe macht, ist die richtige Reaktion, kurz zu überlegen, ob du etwas falsch gemacht haben könntest. Und sollte die Antwort auf diese Frage negativ sein (was sie in der Regel sein wird), klar zu stellen, dass du nach den Regeln der Shiatsu-Kunst und vor allem energetisch und definitiv nicht verletzend gearbeitet hast.

    Sollte diese Klientin dich erneut kontaktieren, so würde ich ihr erklären, dass deine Behandlung diese Vorwölbung nicht bewirkt haben kann, dass sie aber eine längerfristige Fehlbelastung der HWS anzeigt, an der du zusammen mit ihr forschen und arbeiten kannst, wenn sie das möchte.

    Wenn du eine solche Erkenntnis aus diesem Ereignis gewinnen konntest, dann war dein Schreck nicht umsonst.

    Ganz liebe Grüße,
    Wilfried

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